I. KAPITEL [A]

GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK

Das Gastland Ungarn im Wandel der Zeiten

Das Karpatenbecken vor der Landnahme der Ungarn

Ungarn, eine Tiefebene — umgeben von der Gebirgskette des Karpatenbogens (auch Wall der Karpaten genannt) — war in der Zeit der Völkerwanderung Durchgangsstation oder Tummelplatz verschiedener Völker. Durch die wirtschaftliche und geographische Lage war es hierfür besonders geeignet. [Vom archäologischen Standpunkt aus betrachtet, bekam es eines der wichtigsten Territorien, wo jedes Jahrhundert, von der neolithischen Ära an, seine Spuren hinterließ (keltische, römische und illyrische Ausgrabungen etc. ...).]
Im 4. Jahrhundert v. Chr. erfolgte die Invasion der Kelten in das Karpatenbecken, wobei sie die Illyrer unterjochten: Später siedelten hier die Daker, u. zw. in Transsylvanien, um nachher von den Sarmaten (Skythen) verdrängt zu werden. Auch diese wurden vertrieben von den Goten und Thrakern, gefolgt von den Vandalen, Gepiden und Langobarden.
Einen Teil des historischen Ungarns bildeten die alten römischen Provinzen Pannonien und Dakien. Durch die angehende Völkerwanderung, verbunden mit erbitterten Kämpfen, sahen sich das Byzantinische und auch das Römische Reich gezwungen, ihre äußeren Grenzgebiete zu befestigen entlang der Sawe und am unteren Lauf der Donau.
Im 5. Jahrh. hat zwischen Donau und Theiß der mächtige Hunnenkönig Attila (433—453, Geißel Gottes genannt) das Zentrum seiner Macht aufgebaut. Nach seinem plötzlichen Tod zerfiel das Hunnenreich ebenso schnell, wie es entstanden war. Dasselbe Schicksal ereilte auch ein anderes Nomadenvolk, das sich hier im 6.—8. Jahrh. niederließ, nämlich die Awaren. Bekämpft von Karl d. Großen, gingen sie später unter im Slawenreich des Königs Swatopluk. Danach erfolgte eine Ausbreitung slawischer Stämme — wie Kroaten und Morawer — über ganz Pannonien.

ZUR FRÜHGESCHICHTE UNGARNS

Betrachtungen zur Urgeschichte der Magyaren

Über die Urgeschichte der Magyaren sind kaum schriftliche Quellen erhalten geblieben.
Die wenigen östlichen und westlichen Überlieferungen deuten einstimmig darauf hin, daß das Magyarentum ein Reitervolk von Hirtennomaden war.
Die meisten und zuverlässigsten Angaben liefert die vergleichende Sprachwissenschaft, deren neueste Erkenntnisse die Magyaren aufgrund des Wortschatzes und der Konstruktion der ungarischen Sprache eindeutig in den finnisch—ungarischen Zweig der uralaltaischen Sprachfamilie eingereiht haben.
Wir wissen nicht genau, ob die Urheimat der Uralvölker in Europa oder in Asien lag.
Die frühen Vorfahren der Ungarn, Fischer und Jäger, verließen etwa Mitte des I. Jahrh. n. Chr. jene Gebiete, wo sie mit den anderen ungarischen Völkern noch zusammen lebten, und zogen nach Süden.
Hier kamen sie mit bulgarisch—türkischen Völkerstämmen in Berührung, durch deren Einfluß sie zu einem Nomaden-Steppenvolk wurden, das bereits in einem Stämmebund lebte. Im Laufe ihrer weiteren Wanderungen wurden sie Untertanen verschiedener Nomadenreiche, die sich erstaunlich schnell in den Steppengebieten bildeten und mit der gleichen dramatischen Schnelligkeit wieder auflösten.
In der Mitte des 5. Jahrh. n. Chr. schlossen sich die Vorfahren der Magyaren dem onogurisch—bulgarischen Stämmebund an und lebten mit diesem eine Zeitlang am Nordufer des Schwarzen Meeres unter der Oberhoheit des Chasarenreiches.
Die Urheimat der Onoguren und Magyaren war also sehr wahrscheinlich in der Südregion der Ausläufer des Uralgebirges als auch am Mittellauf der Wolga.
Später wanderte ein Teil der Onoguren nach Südwesten und gründete später am Unterlauf der Donau den bulgarischen Staat. Ein Teil der zurückgebliebenen Onoguren zog zur Wolga, während die anderen Reste sich zu einem Stämmebund vereinigten.

DER MAGYARENSTAMM

Griechische, persische und arabische Quellen besagen, daß die Magyaren etwa 300— 400 Jahre vor ihrer Wanderung nach Westen zwischen den Flüssen Don und Dnjester, nördlich vom Schwarzen Meer lebten.
Das Land nannte man „Dentu-Magyaria" im sogenannten „Pontu" Marschland gelegen — eine Landfläche, die größer ist als das historische Großungarn (Nagymagyarorszäg).
Über die Wanderungen der Ungarn wurden in verschiedenen Chroniken recht widersprüchliche Überlieferungen verzeichnet.
Das Volk der Magyaren war auch in Stämme unterteilt ,wobei jeder Stamm unter der Führung eines Stammesfürsten stand.
Der bekannteste Fürst war Arpäd, der die Magyaren später auf die Bühne europäischer Geschichte führte.
Der frühest bekannte Ahn von Arpäd war Opos (geschichtlich erstmals 739 erwähnt), ein guter Organisator der Dentu-Magyaria gründete.
[Schätzungsweise zählte das Volk der Magyaren ca. 200.000 Menschen, davon 10.000 Krieger. Diese Zahl dürfte etwas übertrieben sein.]
Der Nachfolger von Opos war Csaba, danach Edemen (dessen Mutter eine persische Prinzessin war).
Der Sohn von Edemen, Ugek (Ärpäds Großvater), heiratete eine Hunnenprinzessin, die wunderschöne Emese, die aus direkter Linie von Attila abstammte.
Ugek's Sohn Almos wurde 819 geboren und starb 895. Er arbeitete unermüdlich am Aufbau einer starken Nation und knüpfte enge Familienbande mit Nachbarvölkern.
Er förderte seine Position durch die Heirat der Tochter des stärksten Stammesfürsten der Nyek. Im Jahre 840 wurde sein Sohn Arpäd geboren. Auch er heiratete in den Stamm der Nyek und nachdem deren Stammesfürst starb, wurde Arpäd zum Führer beider Stämme erhoben [Megyeri und Nyek].

DIE SIEBEN STAMME

Im Jahre 863 unternahm Arpäd mehrere Streif- und Kundschaftermissionen nach dem Westen. Sein erstes Unternehmen führte ihn nach Pannonien. Von einer seiner letzten Missionen zurückgekehrt, berichtete Arpäd über die drohende Gefahr des kriegerischen Nachbarvolkes der Petschenegen. Danach entschied der Rat der Stämme (SZER), Dentu-Magyaria aufzugeben und zur nächsten Heimat Etelköz weiterzuziehen, was die Magyaren dem Kranz der Karpaten näher brachte.
Neuste Geschichtsforschung deutet darauf hin, daß die Magyaren vor einem Großangriff der Petschenegen (Besenyök) nach Westen in das Gebiet zwischen Donau und Dnjepr zogen und 896 auf der Flucht, um einem erneuten Angriff zu entgehen, in das Karpatenbecken eindrangen, das sie von früheren Streifzügen her bereits kannten.
Als Arpäd den Umzug nach Etelköz 888 vollzogen hatte, schloß der Stammesrat-Szer den sog. Blutpakt-Verszerzödes. In dieser Zeremonie ließen alle Stammesfürsten ihr Blut in einem Kelch auffangen, von welchem dann jeder trank, um den Blutpakt zu besiegeln.
Durch den Blutpakt wurden die sieben Stämme eine Nation, die Magyaren. Der Name des stärksten Stammes war Megyer. Daher kommen die Ausdrücke Magyar, Madjar und Magyarorszäg. Die übrigen in anderen Sprachen üblichen Bezeichnungen wie „Hungarus", „hongrois", „Hungarian", „Ungar", „Venger", sind auf das Wort „onogur" zurückzuführen*
Die Namen der sieben Stämme sind: Megyeri, Jenö, Keri, Keszi, Kürt-Gyarmat, Nyek und And-Tarjän.
Die Führer der sieben Stämme waren: Arpäd, Elöd, Levente, Ond, Tas, Huba und Töhötöm.
[In den späteren Annalen schrieb Anonymus, der Sekretär von König Bela IV., daß ... solange die direkte Linie von Almos (Ärpäds Vater) besteht, muß der Prinz der Ungarn aus dieser Familie kommen.]
Das war eine der frühesten Formen einer Konstitution/Grundgesetz.
Arpäd traf in diesen Jahren wichtige Entscheidungen, die zwar durch die augenblickliche Lage bestimmt waren, sich jedoch für die spätere Landnahme im Karpatenbecken vorteilhaft auswirken sollten. Er schloß 892 mit dem Frankenkönig Arnulf von Kärnten einen militärischen Pakt. Arnulf unternahm 892/93, von den Ungarn unterstützt, Feldzüge gegen das Großmährische Reich Swatopluks. Im Jahr darauf (894) starb Swatopluk. Arpäd ging 894 auch mit dem byzantinischen Herrscher Leo dem Weisen ein Bündnis ein. Kaiser Leo suchte Verbündete, als Simeon, der neue Zar der Bulgaren, sich anschickte, Byzanz zu erobern. Diesen Plan machte die byzantinische Diplomatie zunichte. Es gelang ihr nämlich, Serben, Kroaten und Magyaren im Jahre 895 gegen die Bulgaren aufzubieten.
Mähren und Bulgarien, deren Territorien sich gerade im Pannonischen Becken berührten, waren nun entscheidend geschwächt.

DIE UNGARISCHE LANDNAHME UND DIE EPOCHE DER STREIFZÜGE.

Schon vor der Landnahme fand Arpäd freundliche Stämme im Karpatehnraum wie die Szekler, ferne Verwandte der Ungarn. Diese kamen bereits in zwei Wellen 700 und 500 v. Chr. in die Große Ungarische Tiefebene. Sie sprachen ebenfalls die ungarische Sprache. Sie empfingen Arpäd wohlwollend und billigten auch seine Absicht der Landnahme. Arpäd überließ den Szeklern 896 das Grenzgebiet in Südostungarn und bestimmte sie als Grenzbewacher. [Grenzgebiet = Gyepü.]
Mit den Petschenegen (Besenyök) schloß er Freundschaft, indem er dem Stammesfuhrsten Tevele seine Tochter Agocska zur Frau gab.
Arpäd führte sein Volk in das Karpatenbecken über den Verecke-Paß (Vereckei hägö).
Neueste Forschungen schätzen die Zahl der Magyaren zur Zeit der Landnahme auf nur 100.000 Reiter und etwa 500.000 Seelen. [Auch ungarische Historiker stimmen darin überein.]
Die Zeit war nun reif für die Besiedlung des neuerworbenen Landes. Es war Ärpäds größte Errungenschaft für sein Magyarenvolk in den Jahren 894—896.
Ungarn existiert auf diesem Territorium seit 896, dem Jahr der historischen Landnahme. Die mit dem Schutzwall der Karpaten gebotene natürliche als auch historische Grenze war die beständigste auf dem europäischen Kontinent [mit Ausnahme der französisch—spanischen Grenze].

Fortsetzung Landnahme — Beutezüge

Zur Zeit der Landnahme der Magyaren lebten hier in der Hauptsache nur die Überreste slawischer Völker; das Großmährische Reich war nach dem Tode Swatopluks im Zerfall begriffen.
Auch die auf die Ungarische Tiefebene und Siebenbürgen ausgedehnte Herrschaft der Bulgaren konnte sich nicht festigen. So unterwarfen die Ungarn das Karpatenbecken mühelos. Sie stießen auf keinen ernsthaften Wiederstand.
Die sog. heroischen Kämpfe, von denen uns mittelalterlische ung. Chronisten berichteten, sind Phantasiegebilde und dichterische Erfindung.
Nachdem die Landnahme vollzogen war, unternahmen die Magyaren für längere Zeit Streifzüge in westliche Nachbarländer.
Ihre Reitertruppen raubten und plünderten bis weit hinein ins westliche Europa, wobei sie viele Regionen unterwarfen und Tributsteuern kassierten.

Madjaren

Madjaren auf einem Streifzug

Es verging kaum ein Jahr, in dem sie nicht nach dem Westen ritten. Die Streifzüge reichten weit bis über den Elsaß nach Südfrankreich und Norditalien, den Rhein entlang nach Norden, sie zogen über Franken, Sachsen und Thüringen sogar bis hinauf nach Bremen.
Besonders in den reichen Klöstern fanden sie ergiebige Beute an sakralen Gegenständen aus Gold, Silber und Brokat. Die Annalen der Klöster (z. B. St. Gallen) geben ein beredtes Zeugnis von den Plünderungen. In den süddeutschen Landen betete man seinerzeit: "Bewahre uns vor Pest, Krieg, Hungersnot und vor den Pfeilen der Hungarn".
Obgleich die Magyaren etwa 30 Jahre hindurch siegreich und beutebeladen heimkehrten, waren die Streifzüge dennoch verlustreich. Die Verteidiger der westlichen Länder stellten sich später immer mehr auf die Kampfmethoden der Magyaren ein. Um ihren tödlichen Pfeilen zu entgehen, griff man ihre Lager nachts an, mit dem Ergebnis, daß die Magyaren oft geschlagen und ohne Beute nach Hause ziehen mußten. Auf dem Fluchtweg zurück nach Ungarn griffen sie die entlang des Weges lebenden Bewohner ständig an, vertrieben, verfolgten und dezimierten sie.
Männliche Gefangene nahmen sie kaum mit, jedoch Frauen brachten sie regelmäßig in beträchtlicher Anzahl aus den Überfallenen Ländern mit nach Hause.

Die Wende nach der Schlacht bei Augsburg

Außergewöhnlich verlief die Schlacht auf dem Lechfeld im Jahre 955, wo Otto I. die Ungarn vernichtend schlug und ihnen die Flucht abschnitt. Auch ihre Anführer griff man auf, den Anführer Bulcsu und die Unterführer Tas und Sur. Der dritte Unterführer Leel (Lehel) fiel bereits in der Schlacht. (Sage v. Lehel kürtje = Lehels Blashorn.) Die drei Gefangenen wurden dem Herzog von Bayern in Regensburg vorgeführt, der sie prompt hängen ließ.
Die Niederlage auf dem Lechfeld bei Augsburg war so vollständig, daß in den Stämmen der Ungarn, aus denen die Krieger rekrutiert waren, vorübergehend die Mehrehe eingeführt werden mußte.
Historiker des Westens betrachten die Schlacht auf dem Lechfeld als den entscheidenden Wendepunkt, weshalb die Magyaren hernach ihre Streifzüge nach dem Westen instellten und allmählich versuchten, sich der westlichen Kultur und Tradition anzupassen.
Hierzu sagt Julius von Farkas in seinem Buch „Südosteuropa", Göttingen 1955 S. 36 folgendes:
„Erst 955 gelang es Kaiser Otto d. Großen, die deutschen Fürsten zu einigen und die Magyaren bei Augsburg vernichtend zu schlagen. Diesem Sieg wird in der deutschen Überlieferung — zu Unrecht — die Bedeutung zugesprochen, als ob auf dem „Lechfelde" das christliche Europa von der Überflutung durch asiatische Horden gerettet wurde. Tatsächlich sind in der Vernichtung nur einige türkisch—mongolische Hilfstruppen der Magyaren zum Opfer gefallen, welche diese nach nomadischer Regierungskunst zu den gefährlichsten Unternehmungen in die Ferne sandten, während sie selber zu Hause blieben. Immerhin hüteten sie sich von nun an, die mächtigen westlichen Nachbarn zu reizen und begannen, sich endgültig in ihrer neuen Heimat einzurichten. Die Brücken nach dem Osten waren gesprengt, der Weg nach dem Westen versperrt. Sie mußten sich mit ihrem Schicksal abfinden und sich in die christliche Gemeinschaft einordnen."
[Soweit mit. Farkas und gut definiert!] Jedoch geschichtlich nicht dokumentiert!!! Beide Hypothesen stimmen nicht ganz.
Der magyarische Fürst Taksony begann schon Jahre vorher mit der Umorientierung seines Magyarenvolkes. Dieser sehr weise und umsichtige Fürst nahm neben Ostrom und Rom auch mit dem Westen die Verbindung auf, wohl aus den Einsicht, daß seine Nation nur so eine Chance hatte zu überleben.
Es muß aber stark angenommen werden, daß die Niederlage auf dem Lechfeld das Tüpfelchen auf dem „i" gewesen war und somit Fürst Taksony die innenpolitische Rückversicherung gab, die Wende zum Westen fortzusetzen.
Trotz innerer Widerstände entschied sich Taksony für eine Verbindung mit dem Kaiser. Also nicht Fürst Geza und König Stephan I., dem Heiligen, gebühren die Lorbeeren alleine, sondern auch Fürst Taksony, daß die ungarische Nation dem westlichen Kulturkreis zugeführt wurde.

Fürst Geza (Geysa) 972-997

Die Lehre der Lechfeld-Niederlage bewog den mächtigen Stammesfürsten Geza (972—997), die Beutezüge gänzlich einzustellen und die magyarische Nation seßhaft zu machen. Dies konnte aber nur durch die totale Eingliederung in die abendländische Völkergemeinschaft geschehen. Es bedeutete gleichzeitig, daß das Volk zum Christentum bekehrt werden müsse. Geza rief daher Missionäre ins Land, nicht nur aus dem Westen, sondern auch aus Byzanz. Es wurde berichtet, daß seine Frau eine griechische Christin war.
Fürst Geza, ein Arpaden-Nachkomme, ließ sich und seinen Sohn Vajk taufen, der den Namen Stephan erhielt. Er sollte später das Werk seines Vaters vollenden.
Von entscheidender Bedeutung für die westliche Orientierung Ungarns war die Verheiratung Stephans mit der Tochter des Bayernherzogs Heinrich IL, der frommen Gisela, Schwester des späteren deutsch—römischen Kaisers Heinrich IL
In Giselas Gefolge kamen viele deutsche Ritter, Mönche, Handwerker und Bauern ins Land.
Um sich von seinen heidnischen Gegnern zu schützen, nahm Fürst Geza seine Residenz in Esztergom = Gran, das durch ausgedehnte Waldungen und die Donau geschützt war. Den deutschen Rittern verlieh er in der Nähe von Gran große Güter, denn sie sollten ihn im Falle eines magyarischen Aufstandes beschützen.

Stephan I., der Heilige (1001-1038)

997, gleich nach dem Tode von Fürst Geza, erhoben sich die mit Byzanz liebäugeln­den Ostmadjaren und die Heidenmadjaren gegen seinen Sohn Stephan.
Der Übergang war eine langwierige Epoche voller Kämpfe und Aufstände, aus welchen scließlich der erste König Ungarns, Stephan L, der Heilige, siegreich hervorging. Zu seiner Krönung im Jahre 1001 schenkte ihm Papst Silvester IL eine kostbare Königskrone. Wie sehr die Niederwerfung der „aufständischen Magyaren" eine deutsche Angelegenheit wurde, beweist die Gründungsurkunde vom ersten Kloster in Ungarn — Märtonhegy = Martinsberg — aus dem Jahre 1002, worin ausdrücklich von einem Krieg zwischen den Deutschen und Magyaren — „seditio maxima inter Teutonicos et Hungaros" — gesprochen wird. König Stephan L, mußte sich in harten Kämpfen gegen mächtige Stammesfürsten durchsetzen. Mit dem königlichen „deutschen" Heer unter Führung des deutschen Wezelin von der Wasserburg schlug Stephan zuerst den Herrn der Schomodei, den widerspenstigen heidnischen Koppäny (998), der im Zeitalter des „ungarischen Nationalismus" zum „Stern der Madjaren" emporgehoben werden sollte. Später gelang es ihm, auch die Häuptlinge des Ostens, Gyula und Ajtony, zu besiegen und dadurch den griechischen Einfluß zurückzudrängen.

Der Aufbau des Staates

Nachdem Stephan die Macht seiner Gegner gebrochen hatte, wendete er sich dem Aufbau seines neuen Königreiches zu.
Stephan der Heilige entwickelte sich zu einem großen Staatsmann und Herrscher. Er regierte mit starker Hand von 1001—1038. Entsprechend dem mittelalterlichen Ideal organisierte er Staat und Kirche in einem. Für das Schicksal und die Geschichte Ungarns war entscheidend, daß er sich nicht dem byzantinischen, sondern dem westlichen Christentum anschloß, wenn auch in seiner Kirchenorganisation östliche Elemente vorhanden waren.
Die Organisation des Staates vollzog sich nach dem Vorbild des bayerischen Herzogtums mit der Hilfe seines Schwiegervaters, Schwagers sowie bayerischer Rechtsgelehrten. Der Senat war nach fränkischem Vorbild aus weltlichen und kirchlichen Würdenträgern zusammengesetzt. Die Einrichtung seines Hofes war deutsch. Urkunden wurden nach deutschem Muster ausgestellt.
Das „deutsche" Heer des Königs, Geldwesen, die Regalien, Zölle und Märkte sind ebenfalls aus Bayern übernommene Institutionen. Ihre Wurzeln reichen zwar in die Zeit Karls des Großen zurück, aber als unmittelbare Quelle dienten dem Ungarnkönig die zeitgenössischen Einrichtungen des bayerischen Herzogtums, wie auch die Hauptquelle zu seinen Gesetzen die „Ley Baiuvarium" war.
Als wichtigster Berater stand ihm Ascherik, ein deutscher Mönch, der spätere Erzbischof von Gran und Kalocsa zur Seite. Seine kirchlichen Vorschriften gleichen sich den Synodalbeschlüssen des Fränkischen Reiches an. Mehrere Kapitel des „Canonis" sind wortwörtlich den Mainzer Konzilien aus d. J. 847 und 888 entnommen.
Der Vollzug der Eingliederung Ungarns in das Abendland ist zum Großteil als König Stephans eigene Leistung anzuerkennen. Die Fundamente des ungarischen Staatswesens wurden so tief verankert, daß es auch heute noch besteht.
Die Nachfolger Stephans konnten ohne große Schwierigkeiten die Völker der umliegenden Gebiete wie Slowakei und Siebenbürgen eingliedern.

Ladislaus der Heilige (1077-1095)

Ladislaus I. wurde 1077 zum König gekrönt und regierte nach dem Vorbild Staphans, nur ging er in seinen Gesetzen zur Stärkung der christlichen Sitten und Moral energischer vor. Durch ihn wurde die Christianisierung Ungarns völlig abgeschlossen. Er beseitigte die letzten Reste des Heidentums. Ladislaus der Heilige verkörperte zudem das Ideal eines Ritterkönigs. Mit dem Königreich Kroatien—Slawonien vollzog er eine Personalunion. Seine Gestalt ist von Legenden umwoben.


Koloman der Bücherfreund (1095—1116)

König Koloman ließ durch seine Gesetzgebung größere Milde walten. Seine Gesetze wurden von dem Mönch Alberich verfaßt und mit einer Widmung an den Erzbischof Seraphin von Gran versehen.
Koloman war für seine Zeit ein „aufgeklärter" Monarch, daher sein Beiname „Koloman der Bücherfreund = Könyves Kaiman".
All seine Gelehrsamkeit offenbahrt sich in den Gesetzen und Verordnungen der um 1100 abgehaltenen Synode Csanäd. Er widersetzte sich energisch dem Hexenwahn und verbot Hexenprozesse. Auch das Kreuzzugsideal fand unter seiner Herrschaft Widerhall.

König Andreas II. (1205-1235)

In seiner Regierungszeit wurde die „Goldene Bulle = Aranybulla" erlassan, die die Privilegien des Adels sicherte und auch die Verfassung des mittelalterlichen ungarischen Königreiches wurde. [Man kann dieses Dokument die Magna Charta Ungarns nennen.]
Die Ungarn sind sehr stolz darauf, daß sie nach den Briten die älteste Verfassung Europas aufzeigen können.
Die Tochter Andreas II. ist die fromme Elisabeth, Landgräfin von Thüringen. Sie ist eine der volkstümlichsten Heiligen der katholischen Kirche.

Bela IV (1235-1270.) Der Tatarensturm.

Jäh unterbrochen wurde die Blütezeit des ungarsichen Mittelalters durch den plötzlichen Einfall der Tataren (auch Mongolen genannt). Diese stürmten über Rußland hinweg nach Europa. Das Heer von Batu Khan - Goldene Horde genannt - teilte sich vor den Karpaten in zwei Armeen. Die eine drang in Polen und Schlesien ein. Bei Liegnitz besiegten die Mongolen ein deutsch-polnisches Heer, das sich ihnen zur Schlacht gestellt hatte. Die andere Armee überfiel unter Batus Führung Ungarn. Auf der Ebene Mohi wurde 1241 das königliche ungarische Heer völlig aufgerieben. Bela IV floh mit seinen Getreuen nach Dalmatien, um von dort den weiteren Widerstand zu leiten. Die Mongolenhorden haben 1241/42 das ganze Land geplündert und verwüstet. Unzählige Menschen wurden brutal niedergemetzelt. Es war ein Glück für Europa und im besonderen für Ungarn, daß im Dezember 1241 im fernen Karakorum der Großkhan Önägdäi, ein Sohn von Dschingis-Khan, gestorben ist. Als die Nachricht Monate später in Ungarn eintraf, ließ Batu schleunigst zum Rückzug blasen. Batu, einer der zehn Enkel von Dschingis-Khan, wollte mit starker Macht bei der Wahl des neuen Großkhans anwesend sein. Seine Gegenspieler waren jedoch stärker; Batu blieb weiterhin „nur" Khan der Goldenen Horde, die weite Gebiete vom Uralfluß bis zu den Karpaten beherrschte. Ein nochmaliger Versuch Batus, Europa zu überfallen, wurde durch geeintes Vorgehen vereitelt.
Nach dem Abzug der Tataren 1242 konnte Bela IV mit dem Wiederaufbau des Landes beginnen. Man nennt ihn in der ungarischen Geschichtsschreibung auch einen zweiten Staatsgründer.

Das Ende der Arpadendynastie (1301)

Nach 400jähriger Regierungszeit ist das Arpadenhaus mangels männlicher Nachkommen 1301 ausgestorben. Das Erbrecht ging somit auf den weiblichen Zweig über.
Wahrend der Arpadendynastie wurde Ungarn vorwiegend vom westlichen Einfluß geprägt. Die Unabhängigkeit ihre Landes, obwohl eingekeilt zwischen dem übermächtigen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und dem Byzantinischen Reich, verteidigten die Arpaden stets mit Erfolg. Jeder Versuch, sich ihres Landes zu bemächtigen, wurde von ihnen entschlossen zurückgewiesen. Selbst das päpstliche Ansinnen, als Lehnsherr von Ungarn aufzutreten, wurde unmißverständlich abgelehnt.

Ungarns politischer und kultureller Höhepunkt vor Mohäcs

Das 14. und 15. Jahrhundert bedeutete in der Geschichte Ungarns einen politischen als auch einen kulturellen Höhepunkt.
Mit Hilfe des Papsttums kam das Haus Anjou aus Neapel auf den ungarischen Thron.
Vom Jahre 1308 bis 1382 herrschten in Ungarn König Karl Robert (1308-1342) und König Ludwig I., der Große (1342-1382) aus der Familie Anjou-Neapel. Sie erneuerten die zentrale Gewalt.
Ludwig I. gründete die erste Universität des Landes in Pecs = Fünfkirchen 1367.