II. KAPITEL [B]

DIE SITUATION IM DONAUBECKEN NACH DER TÜRKENBEFREIUNG

Der Sieg der kaiserlichen Heere über die Osmanen bei Wien (1683) und die Eroberung Ofens (1686) war der Auftakt zur endgültigen Befreiung Ungarns. Im selben Jahr wurde der Feind auch aus dem Donau-Hügelland (Transdanubien) vertrieben.

Kaum waren diese Gebiete frei, da wurden auch gleich Versuche unternommen, die verwüsteten und menschenarmen Gebiete mit neuer Bevölkerung zu besiedeln.

Es wurden vor allem Soldaten und anderes Kriegsvolk, das an der Rückeroberung teilgenommen hatte, besonders in den Städten seßhaft gemacht. Neben der überlebenden ungarischen Restbevölkerung sickerten auch südslawische Völker (Serben = Raizen, Kroaten, Slowaken nebst Rumänen) in die entvölkerten Landstriche.

Da jedoch die beinahe 150 Jahre andauernde Kriegseinwirkung die ursprüngliche Bevölkerung derart dezimierte, war mit den obengenannten Volksgruppen nicht aus­reichendes Menschenmaterial vorhanden, um das Land wirtschaftlich wieder aufzubauen.

Diesen ersten Ansiedlungen war keine längere Dauer beschieden, da sie durch die gegen die habsburgische Herrschaft gerichteten Kurutzenaufstände unter Franz Rakoczi II. zum größten Teil zerstört wurden.

Ansiedlung der Schwaben in Ungarn nach der Vertreibung der Türken

Maßnahmen der Habsburgregierung zur Vorbereitung der Ansiedlung Nach der Befreiung Ungarns vom 150-jährigen Türkenjoch sahen sich die Habsburger Herrscher in ihrer Eigenschaft als ungarische Könige vor der schwierigen Aufgabe, das darniederliegende und durch kriegerische Auseinandersetzungen mit den Osmanen ver­wüstete Land neu zu besiedeln und wieder aufzubauten.

Die Unternehmen erforderten den Kraftaufwand und Pioniergeist mehrerer Generationen.

Für die Besiedlung des Landes griffen sie als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation auf das Bevölkerungsreservoir und das wirtschaftlich-technische Potential dieses Reiches zurück.

Der Beschluß des Hofkriegsrates in Wien am 16. September 1686, "in denen hun-garischen Eroberten Neuen Vüstungen kein Ungläubige für Bürger und Bediente an- und aufzunehmen", wird als der 'offizielle Geburtstag* der donauschwäbischen Geschichte angesehen, da hier erstmals eine grundsätzliche Entscheidung für ganz Ungarn getroffen wurde, während frühere Entscheidungen meist nur lokalen Charakter aufwiesen.

Das Einrichtungswerk

Noch im Zuge der Befreiungskriege ordnete Kaiser Leopold 1687 an, daß die "Einrichtung der neuen Acquisiten" in politischer und kameraler Hinsicht in die Wege zu leiten sei. Er ordnete eine enge Zusammenarbeit aller einschlägigen Gremien der Gesamtmonarchie, vor allem der kaiserlichen Hofkammer und des Hofkriegsrats, zur Verwirklichung obigen Planes an. Es kam zur Bildung einer Kommission zur Ausar­beitung des "Einrichtugswerkes", bestehend aus einer Haupt- und Subkommission.

Zum Leiter der Subkommission wurde 1688 Kardinal Leopold Graf Kollonitsch (1613—1707) bestellt, der als hervorragender Kirchenfürst mit seiner staatsmännischen Klugheit dem Kaiser und dem Reich schon manche wertvolle Dienste erwiesen hatte.

Die Kommission mußte sich vor allem einen Überblick über den Zustand des er­oberten Landes verschaffen. Das großangelegte Einrichtungswerk sah seine vordringlich­ste Aufgabe in der Neubesiedlung des verödeten, verwilderten Landes mit Menschen. Es galt zunächst festzustellen, welche Teile des Landes noch einen unmittelbaren Besitzer hatten und welche Teile als herrenlose Besitzungen zu betrachten waren. Um im befrei­ten Ungarn Landbesitz geltend zu machen, mußte man seinen Rechtstitel nachweisen können. Güter, auf die von Familien und Personen kein urkundlicher Anspruch bestand, wurden automatisch Eigentum der Krone. Sie unterstanden fortan dem Verfügungsrecht des Kaisers. Die Hofkammer, welcher alle Maßnahmen zur Bewirtschaftung und Besied­lung dieser Staatsgüter oblagen, hatte nun Entscheidungen zu treffen nach Entwürfen und Vorschlägen, die die Subkommission vorlegte. Kardinal Kollonitsch hatte seine Grund­gedanken in Form von verschiedenen Manifesten, Edikten und des Impopulationspatentes vom 11. August 1689 allgemein bekanntgemacht. Das lateinische Wort "Patent" hat eine mehrfache Bedeutung. Hier bezeichnet es eine Urkunde, durch welche eine Entschließung des Landesherren zur öffentlichen Kenntnis gebracht wurde.

Inpopulationspatent

Am 3. Juli 1703 wurde Prinz Eugen zum Präsidenten des Hofgerichtsrates ernannt.

Ein überaus schweres Amt mit großen Sorgen und Verantwortung fiel ihm zu, doch er war besonnen und zielbewußt, treu zu seinem Kaiser und Reich und führte dabei gründliche Reformen durch.

Die neuen Grundherren durch Verleihung/Schenkung und Kauf

Weil der größere Teil des Landes in den Besitz der Krone kam, hat der Kaiser große Güter aus diesem Besitz an seine erfolgreichsten Feldherren und verdienten Staatsmänner verschenkt oder verkauft. In den Händen des Kaiser waren diese Ländereien Trümpfe und ein wichtiges staatspolitisches Machmittel. Die Schicht der kaiser- und reichstreuen Adeligen und Grundherrn konnte somit verstärkt werden. Ein Großteil Transdanubiens gelangte hierbei an die Heerführerveteranen und an treuergebene Adelige.

Prinz Eugen von Savoyen, der edle Ritter kam in den Besitz von Bellye, Promontor und der Insel Csepel, General Veterani bekam die Herrschaft Därda, der Banus von Kroatien und treuer Anhänger des Kaisers, der ungarische Adelige Graf Batthyany, konnte sich Deutschbol/Nemetboly aneignen, General Capara setzte sich in Siklos fest, Graf Preuner in Szentlörinc, Graf Claudius Florimundus Mercy in Högyesz, der Domherr von Köln, Philipp Ludwig Graf Zinzendorff, erhielt die Abtei Pecsvarad, Graf Styrum-Limburg Simontornya, Johann Josef Graf Trautsohn hatte von 1718-1757 die Abtei Szekszard innen Josef Markgraf von Hessen wurde Abt von Földvar, Wilhelm Graf Nesselrode wurde Bischof von Pecs/Fünfkirchen, die Grafen Wallis hatten Tolna im Besitz. Auch die Kirche, Bischöfe und Äbte wurden ausgiebig mit Grundbesitz bedacht. Die Kirche konnte ihren früheren Besitz am ehesten urkundlich belegen. Sehr viele Güter wurden auch an ergebene Adelige verkauft. Trotz des billigen Grundstückpreises fanden sich nur selten Käufer

Der Auftakt zur donauschwäbischen Landnahme

Die Ansiedlungsaktionen der privaten Grundherren

Die Neuregelung der Besitztumsverhältnisse hatte eine große staatspolitische Bedeut ung und einen nachhaltigen Einfluß auf den Ansiedlungsverlauf. Für die neuen Grund herren war das erlagte Besitztum vorerst nur totes Kapital. Sie waren daher besonders in teressiert, je eher möglichst viele Arbeitskräfte zu werben, um die brachliegenden Güter bald zu erschließen. So wurden sie die eifrigsten Förderer der Siedlungsaktionen. Sehr bald folgten ihnen auch die älteren Grundbesitzer, die Bistümer und Abteien. Der Anteil privater Grundherren an der Ansiedlung deutscher Kolonisten war beträchtlich. Sie er streckte sich auch über viele Jahre, so auch in der Zeit, als sich der Staat bereits tatkräftig beteiligte. Gar viele der neuen Kolonisten erlagen den Anfangsschwierigkeiten, und so mußten immer neue Siedler die verwaisten Hofstellen auffüllen. Die private Kolonisation vollzog sich immer nach Richtlinien des 1689 erlassenen Impopulationsgesetzes der königlichen Siedlungsverwaltung, in welchem die Bedingungen, Rechte und Pflichten von Siedlern und Grundheren niedergelegt waren. Sie entsprachen wesentlich den Richtlinien der späteren staatlichen Ansiedlungen.

Das Wesen der staatlichen Siedlungsaktionen in Ungarn

bwohl viel Land verschenkt wurde, blieb immer noch umfangreicher Landbesitz in den Händen der Krone. Dieser Staatsbesitz wurde unter den Namen Prädien, Pußten oder Kameralgüter von der Hofkammer verwaltet. Angelegenheiten der privaten Grundherren gehörten zum Amtsbereich der ungarischen Hofkammer. Die staatlichen Kameralbesitze gab es hauptsächlich im Banat und in der Batschka, wo eigentlich sehr wenig Land an private Grundherren verkauft oder verschenkt wurde.
Eine großangelegte staatliche Ansiedlung der Deutschen in Ungarn begann nach dem Frieden von Passarowitz 1718. Ab dieser Zeit bildete die Save und die untere Donau eine natürliche, weitgehend geschützte Grenze zwischen der Monarchie und dem türkischen Einflußbereich.

Beschluß des ungarischen Landtags 1 723 in Preßburg/Pozsony über die Ansiedlung

Der ungarische Landtag hatte mit seinem 1723 beschlossenen Gesetzesartikel 103 fest gelegt, freie Ansiedler in das noch immer menschenarme Land zu rufen, ihnen erbeigen tümlich Grund und Boden zu überlassen und für längere Zeitspannen Steuerfreiheit zu gewähren.Dabei wurden der Kaiser und König gebeten, Einladungspatente zu erlassen, um Leute zur Einwanderung nach Ungarn zu bewegen.
Nachstehend der Wortlaut des Gesetzartikels 103/1723:

1722/23 Preßburg
Der Grundartikel der donauschwabuchen Kolonisation: De impopulatione regni
(GA. 103 ex 1723)
Über die Wiederbesiedlung des Landes

Übersetzung:
Seine Hoch Geheiligte Majestät wird gutig erlauben, daß freie Personen jeder Art ins Land gerufen werden, die von jeder öffentlichen Steuer für 6 Jahre zu befreien sind und daß diese Freiheit im ganzen Lande verkündet werden kann.
§ 1. Damit aber Patente im Heiligen Römischen Reich und auch in anderen benach barten Landern und Provinzen Seiner Hoch Geheiligten Majestät in diesem Sinne bekannt gegeben werden können, möge Seine Majestät mit den Sunden besagten Heiligen Reiches, der benachbarten Lander und Provinzen^ zusammen in Erwägung ziehen.
§ 2. Auch die neuerworbenen Güter sollen gemäß Artikel 19 denjenigen Familien in der dort erklärten Weise zurückgegeben werden/ denen sie erwiesenermaßen gehören.
§ 3. Seine Hoch Geheiligte Majestät wird bei der Verleihung von fiskalischen Gütern denjenigen Personen, die sich große Verdienste erworben haben, seine besondere Auf merksamkeit schenken.

Werbeaktionen

Im Reich wurde eine bedeutende Anzahl von Werbeagenturen errichtet, und eine Schar von Agenten versuchte in Süd- und Mitteldeutschland, in erster Linie hauptsäch lich ackerbautreibende Landbevölkerung und Handwerker als Kolonisten für Ungarn zu gewinnen. Es wurde natürlich hierbei mit allen Mitteln der Propaganda manipuliert; durch persönliche Überrendungskunst, durch Briefe und Nachrichten aus Ungarn und namentlich durch Flug- und Werbezettel, die mit großer Aufmachung auch in den Zeitungen der südwestdeutschen Provinzen publiziert wurden.
Der erste und bekannteste Werbezettel stammt aus dem Jahre 1718. Es war der persönliche Agent des ungarischen Edelmannes Ladislaus Döry von Jobahäza, namens Franz Felbinger, der 1718 in Biberach an der Riß/Württ., den nachstehend abgebildeten Werbezettel dort verbreitete: